Wenn ich die Zeitung aufschlage, fühle ich mich leer und trostlos. Was passiert hier gerade? Worauf steuern wir da zu? Und was tun wir dagegen?
Ich habe mich viele Jahre als nicht politisch verstanden. Auch dem Luxus geschuldet, dass ich es nicht musste, weil es mir gut ging, weil ich privilegiert war und bin. Und einfach keine Lust hatte. Heute schäme ich mich dafür, dass ich die Zusammenhänge zwischen politischem Handeln und meinem täglichen, gemütlichen Leben nicht gesehen habe. Und ich frage mich umso mehr: Was jetzt tun? Bei allen Demos mitlaufen? Aussprechen, ansprechen, mit Freundinnen und Kolleg:innen? Sorgen teilen? Das alles, denke ich, ja.
Und eine weitere Dimension tut sich langsam auf. Wenn ich eine Sache nennen müsste, die im täglichen Leben dagegen hilft, einander zu misstrauen, sich zu beschimpfen oder zu versuchen, sich etwas wegzunehmen – Geld, Zugänge, Vorteile, Frieden – dann ist das, sich kennenzulernen. Miteinander zu reden, sich zuzuhören, ganz unvoreingenommen und Gemeinsamkeiten zu erkennen. Verschiedenen Lebensrealitäten nicht durch überspitzte Zeitungsmeldungen zu begegnen, sondern durch die Personen selbst, die neben einem sitzen und gerade davon erzählen, wie schwierig es ist, morgens die Kinder rechtzeitig aus dem Haus zu kriegen, Zeit für sich zu finden. Oder die sich über die kommende Stromabrechnung sorgen. Und deren Augen leuchten, wenn sie von den Dingen erzählen, die ihnen Freude bereiten, ihnen Mut und Hoffnung geben. Ein Ort, an dem all das passiert, ist die Schreibgruppe.
Literarische Geselligkeit
Dinge aufzuschreiben, anzumalen, wieder durchzustreichen und von allen Seiten zu betrachten ist unglaublich heilsam. Im großen Lebenswandel, aber vor allem in den täglichen, kleinen Momenten. Und besonders wirkungsvoll ist es zusammen. Das Wort dafür ist literarische Geselligkeit. Ich hab es 2021 zum ersten Mal gelesen und hab es seither immer wieder im Kopf. Es heißt für mich, sich zu treffen um gemeinsam zu sein und zu schreiben – jede*r für sich und gleichzeitig zusammen. Texte zu verfassen und sich vorzulesen. Und das nichts mit Autorinnenschaft oder Publizieren zu tun, erst Mal. Sondern vor allem mit der Sache an sich. Der Prozess ist das Ziel. Schreiben macht vieles sichtbar, tief Verborgenes aber auch die banalen Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Beim anschließenden Vorlesen wandert es in die Realität und wird von den Menschen rundherum aufgefangen: Freundlich, wertschätzend, immer mal wieder mit einem netten Wort, was daran toll war. Und ich weiß, das klingt fast ein bisschen nach Bullerbü-Idylle – zu schön, um wahr zu sein. Eine Utopie von Miteinander. Und wir brauchen sie. Denn die Schreckensbilder kommen von alleine. Die positiven, schönen, utopischen Bilder müssen wir dazulegen. Und wenn ich mir die Zeitung nochmal so anschaue: Wir brauchen jede Menge davon!