Ist die Vorstellung nicht cool, sein eigenes Museum zu gestalten? Sein*e eigen*r Kurator*in zu sein? Denn ihr kennt es sicher: Ein Museum zu besuchen fasziniert, macht Spaß, lernt Neues und lädt zum Staunen ein: Wow – so war das! Spannend, das hätte ich nicht gedacht! Als Schreib-/Journal-/Kreativmenschen haben wir unser eigenes Museum immer dabei – im Notizbuch!

Lebensmuseum mit Stift und Papier

Die Idee stammt von Keri Smith. Seit ich sie entdeckt habe bin ich Fan von ihr und ihren schrägen, praktischen und innovativen Kreativbüchern. Eines davon heißt How to be an explorer of the world – Portable Life Musem. Sie gibt darin die Anleitung, wie man die Welt rund um sich aufmerksam und dadurch völlig neu betrachtet und die Erkenntnisse, Beobachtungen und Details in einem Notizbuch festhält. Eine Art Kreativ-Lebens-Forschungstagebuch. Und ich dachte mir: Jedes Notizbuch, das wir halbwegs regelmäßig füttern ist doch ein Lebensmuseum, oder?
Die Art von Museum, die zwischen Notizbuchseiten – oder digitalen Notes Pages – entsteht, ist bunt, lebendig, dynamisch und wächst ständig. Eine Art Live-Broadcast, der sich über die Zeit zur Ausstellung zusammenfügt. Stil und Aussehen, Themen und Auswahl verändern sich ständig. In den kleinen Details schnell und laufend. Und über die Zeit auch in den großen Zügen, Ansichten und Gedanken über das Leben. Und das beste: Wir können unser Notizbuch-Museum zu jedem Zeitpunkt besuchen um zu flanieren oder etwas Bestimmten nachzugehen.

Ein paar Seiten aus verschiedenen Notizbüchern. 

Sammeln und feiern

Austin Kleon beschreibt seine Notizbuch-Praixs in Keep Going so:
I keep a daily diary for many reasons, but the main one is that it helps me pay attention to my life. By sitting down every morning and writing about my life, I pay attention to it, and over time, I have a record of what I’ve paid attention to.
 
„Paying attention“ gefällt mir besonders gut, also genau hinschauen, was da ist. Gleich morgens nach dem Aufstehen oder noch im Bett – wie etwa Julia Cameron ihre Morgenseiten empfiehlt – muss es übrigens nicht sein, finde ich. Schreiben funktioniert zu jedem Zeitpunkt. Ich schreibe zum Beispiel gerne, wenn ich mich gegen 08.00 oder 09.00 an den Schreibtisch setze, bevor ich „richtig“ zu arbeiten beginne. Da ist der Tag oft schon drei bis vier Stunden alt und ich mache eine Art Zwischen-Fazit: Was geht mir durch den Kopf? Was ist mir heute wichtig? Woran denke ich gerade und welchen Platz soll das in den nächsten Stunden habe. Meine zweite Zeit, in der ich gern das Notizbuch aufschlage, ist bevor ich nachmittags losgehe in den Familienalltag. Die letzte halbe Stunde, idealerweise, ist Spielwiese und Genuss. Ich experimentiere, probiere Dinge aus, klebe, kritzle, schreibe.

Das eigene Museum besuchen

Und wie gesagt: Wieder besuchen können wir unsere Seiten jederzeit. Das gibt nochmal zusätzlich Tiefe zu dem was wir früher geschrieben haben. Wenn ich mir zum Beispiel Bücher von vergangenen Jahren und Monaten oder auch einzelne Seiten der letzten Tage wieder anschaue, bin ich oft berührt oder erstaunt. Oder freudig über einen Fund, der mir damals beim Aufschreiben gar nicht besonders oder gut erschienen ist. Eben wie im Museum: Ich streune durch die Seiten, bleibe mal länger, mal kürzer hängen, verliebe mich in Details, in die Art und Weise, wie ich Dinge mache, wie ich bin. Vielleicht aus dem simplen Grund, weil ich so viel Zeit damit verbringe.
 
Austin Kleon beschreibt es so:
When you pay attention to your life, it not only provides you with the material for your art, it also helps you fall in love with your life.
Und ja, „fall in love with your life“ kommt pathetisch daher, aber gleichzeitig ist es das, was viele von uns herumtreibt, oder? Eine Rastlosigkeit und ewige Suche nach dem Passenden, nach dem Richtigen. Wäre es nicht schön, es so zu betrachten, dass es schon da ist und nur entdeckt werden muss? Während dem Streifzug durch das eigene Lebensmuseum?

Schnipsel, Zitate, Text, Zeichnungen… alles kommt in ein Buch.

Start-Idee für das Lebensmuseum

Wer es versuchen möchte, kann vielleicht mit den drei Elementen starten, die mir gute Dienste leisten:

1. Schreib regelmäßig

Egal ob ein Tintenklecks, ein eingeklebtes Bild mit kurzem Kommentar oder 10 vollgeschriebene Seiten: Wenn du neugierig auf die Wirkung bist, mach regelmäßig etwas in deinem Notizbuch! Um Routine zu entwickeln und einfach keine große Sache mehr daraus zu machen. Das Notizbuch gehört dann irgendwann zu dir dazu, du musst dich nicht einrichten oder bereitmachen. Ein bisschen wie atmen.

2. Ein Buch für alles – aber viele davon

Es gibt unzählig viele verschiedenen Arten, das eigene Leben kreativ zu verarbeiten. Klassisches Tagebuch, Bullet Journal, Art Journal, Junk Journal, Dankbarkeitstagebuch, One Line A Day. Man kann frei schreiben, zu Impulsen schreiben oder längeren Programmen folgen. Ich hab viel davon ausprobiert und festgestellt: Es gibt nicht die eine Art – für mich – um kreativ zu werden. Was mir am meisten hilft sind Freiheit und Abwechslung. Und alles davon in einem einzigen Buch. Nicht je eins für Zeichnungen und eins für Texte und eins für Collagen. Sondern alle Möglichkeiten an einem zentralen Ort. Das heißt aber nicht notwendiger, dass ich tatsächlich nur ein Notizbuch zu einem bestimmen Zeitpunkt führe. Ich habe eins in der Küche und eines neben dem Bett liegen. Ein schönes A5-Notizbuch ist immer im Rucksack dabei, ein ganz kleines steckt immer in der Hosentasche, Jackentasche, Bauchtasche. Und jeweils für das laufenden Monat eine Datei in iNotes. So stell ich sicher, dass ich mir nicht denke kann „Ah, wenn ich dann Schreibsachen hab, schreib ich.“ Ich hab immer Schreibsachen. Und egal was in Reichweite ist, alles darf hinein.

3. Offen, frei und neugierig sein

Vielleicht begegnet dir früher oder später der Gedanke: Darüber will ich nicht schreiben! Oder: das passt jetzt aber nicht in mein kreatives Buch. Spannend! Geh dem nach. Warum passt es nicht? Wofür steht es? Was ist so nicht-be-schreibenswert daran? Erkunde – schreibend, zeichnend, klebend,… – warum eine bestimmte Sache keinen Platz finden soll. Bei mir war das lange alles, was mit dem Bereich Marketing zu tun hatte. Mein Beruf, spannenderweise, und ein kreativer noch dazu. Ich wollte ihn nicht auf den schönen weißen Seiten haben, weil ich mich heuchlerisch und anbiedernd fand. Kunst muss frei sein, Kreativität ungebunden – keine Pläne und Texte für Verkäufe. Das ist banal, kapitalistisch. Bäh. Und das ist es auch, manchmal, unter einem bestimmen Blickwinkel und durch eine bestimmte Herangehensweise. Aber es muss es nicht sein. Aber das ist eine lange und ganz andere Geschichte – die ich über mit Zeit zwischen den Hard-Cover-Buchdeckeln erkundet habe. Weil ich es mir irgendwann erlaubt habe. Sehr befreiend.

 
Und eins zum Abschluss, von Keri Smith: Everything is interesting! Ich würde es mir gerne tätowieren, wenn ich mich trauen würde. Denn wirklich alles ist es wert, nachverfolgt, recherchiert und festgehalten zu werden. Vor allem, wenn es um das eigene Leben geht.