Heute morgen bin ich vollbepackt und gedankenverloren die Währinger Straße entlang gelaufen. Es war wenig los, wie immer in den Ferien. In drei Tagen ist Ostern. Ich mag Wien, wenn es so entspannt ist. In dieser Entspanntheit war ich im am Weg zum Kutschkermarkt, um dort beim Spielplatz Plakate für die nächsten Schreibtreffen aufzuhängen.
Als ich gerade unter einem Gerüst durch spazierte, sind mir dünne, neonfarbene Striche auf der weichen, grauen Bodenabdeckung aufgefallen, die mit so etwas wie Malerkrepp an der Straße befestigt war. Wahrscheinlich, um Schmutz und Reste später mitsamt dem Vlies einzuklappen und wegzuschmeißen? Jedenfalls waren die neonfarbenen Striche kleine Kabelbinder. Gut 30 oder 40 lagen davon verstreut. Es sah aus, als hätte sie jemand versehentlich fallen gelassen und sich dann nicht mehr die Mühe gemacht, sie wieder aufzuheben. Ich hab die bunten Striche angeschaut. Plötzlich war da ein Impuls. Ich habe noch kurz gezögert, und mich dann hin gehockt, eine Hand voll Kabelbinder aufgesammelt und mitgenommen. Ja! Echt!
Danach war ich ein bisschen berauscht und verblüfft von mir selbst. Wann genau war ich jemand geworden, der Dinge vom Boden aufhebt und mitnimmt? Nur um das ganz klar zu sagen: Ich bin mir sehr sicher, dass die keiner mehr braucht und sie in wenigen Tagen oder Wochen mitsamt dem Bodenvlies in einer großen Müllschütte gelandet wären. Trotzdem. Wo ich herkomme hebt man nichts vom Boden auf und nimmt es mit.
Mitten im Erstaunen musste ich dann Schmunzeln. Ich weiß natürlich, woher der Impuls kam. Seit ich in das Werk von Keri Smith eingetaucht bin, bemerke ich Dinge, die ich vorher gar nicht wahrgenommen habe. Als eine der coolsten Kreativ-Autorinnen, die mir bisher begegnet sind – in Buchform leider nur – sieht sie kreative Arbeit als großen Scavenger Hunt. Das heißt so viel wie Schnitzeljagd oder Schatzsuche. Eines ihrer Bücher heißt auch direkt The Pocket Scavenger und beschreibt ganz konkrete Abenteuer in der Nachbarschaft oder auf Reisen: Rausgehen, genau hinschauen, und dann Dinge aufsammeln, die keiner mehr braucht. Papierstücke, Schnur, Spielzeugteilchen. Verpackungen, Stöcke, Blätter. Ich hab sogar schon einzelne Spielkarten entdeckt! Und ein Stück roter Wolle, wo es eigentlich überhaupt nicht hin gehört. Nach dem Sammeln empfiehlt sie „Alterations“, also Experimente, die man mit dem Gefunden anstellt. Das geht von Anmalen über Zerschneiden, Geschichten darüber erfinden bis zu Recherche: Was ist das genau, woher kommt das und so weiter.
Warum das alles? Weil die Welt faszinierend ist. Und wir uns nicht oft genug daran erinnern können, dass wir sie gestalten können. Auch wenn sich das im ersten Moment seltsam anfühlt. „My books are about daring yourself in small ways on a regular basis.“, sagt sie in diesem Video. Sie will also dazu anstiften, sich herauszufordern. Im ganz Kleinen zuerst. Wie etwa neonfarbene Kabelbinder vom Boden aufzusammeln. Und dann zu schauen, was man gestalten kann. Was ich jetzt mit den Neonteilen gestalte, gilt es noch herauszufinden.